Geschrieben am 20.07.2014 von:
Felix Thiemann
Kündigung bei Gefährdung des Heilungserfolgs während der Arbeitsunfähigkeit
Das Bundesarbeitsgericht hat mit einer "denkwürdigen" Entscheidung bereits 2006 herausgearbeitet, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer gekündigt werden kann, der bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet (BAG, Urteil vom 02.03.2006 - 2 AZR 53/05). Im vom BAG damals entschiedenen Fall ging es um einen schwerbehinderten und ordentlich unkündbaren ärztlichen Gutachter des MDK, der während attestierter eigener Arbeitsunfähigkeit (Hirnhautentzündung) einen Skiurlaub in Zermatt antrat. Dies bedeutete damals die außerordentliche Kündigung. Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer muss sich so verhalten, dass er bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Er hat insoweit auf die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers, die sich aus der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung ergeben, Rücksicht zu nehmen. Eine schwerwiegende Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht kann eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Ein pflichtwidriges Verhalten eines Arbeitnehmers kann vorliegen, wenn er bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Dies ist nicht nur der Fall, wenn er nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet, sondern kann auch gegeben sein, wenn er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind. In der Praxis ist es aber regelmäßig sehr schwer für den Arbeitgeber, überhaupt nachzuweisen, dass ein genesungswidriges Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt. Denn nichts spricht dagegen, während einer Arbeitsunfähigkeit etwa wegen einer Erschöpfungsdepression Freizeitaktivitäten nachzugehen, die durchaus anstrengend wirken. Nicht jeder Arbeitnehmer, der arbeitsunfähig ist, hat "das Bett zu hüten". Dies ist für Arbeitgeber häufig nur schwer nachzuvollziehen. Es ist auch davon abzuraten, in derartigen Fällen direkt und ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers die Kündigung auszusprechen. Der Arbeitnehmer sollte zumindest (auch) zum Verdacht eines genesungswidrigen Verhaltens und alternativ zum Verdacht einer erschlichenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angehört werden. Jeder Einzelfall wirft hier im Zweifel große Probleme auf, die eine sorgfältige Vorbereitung arbeitsrechtlicher Maßnahmen bis hin zur Kündigung erforderlich machen.
Geschrieben von Felix Thiemann am 20.07.2014 Zurück zur Übersicht ❯